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... UND WARUM STREITEN WIR?


Vergebungszeremonie am Valentinstag in Berlin-Charlottenburg mit Andrea Sydow

PAARE MACHEN SCHWERE ZEITEN DURCH

Es war die Hölle und sie haben es weit gebracht. Die Nachbarn riefen die Polizei.

Mein Vater und meine Stiefmutter hatten keine einfache Zeit miteinander. Missverständnisse, beleidigte Antworten, Vorwürfe, und das Schlimmste: die im Mund des anderen verdrehten Worte. Es gab kein Zueinanderkommen, kein Verständnis. Die Liebe versauerte und verströmte vergorene Stimmung in die Paarbeziehung, in die Kinderzimmer, in die Küche und an den Esstisch. Bei jeder Mahlzeit schnürte sich mir die Kehle zu, im Bauch hatte ich ein flaues Gefühl. In der Brust die Enge, vor lauter Angst, sie könnten wieder anfangen zu reden, und sich weiter verletzen.

DAS KANN‘S DOCH NICHT GEWESEN SEIN

In meinen Gedanken machte ich Verrenkungen und turnte auf einem Drahtseil mit der fragenden Feststellung: das muss doch anders gehen. Man muss doch miteinander reden können. Da muss man doch eine Tür zur Verständigung öffnen können, wenn man nur will. Das kann doch nicht immer so Scheiße sein.

DAS IST GEFÄHRLICH

Der Paartherapeut Harville Hendrix stellt fest, dass miteinander zu reden das gefährlichste ist, was Menschen tun können. Vorwürfe und Beschuldigungen verletzen. Auch wenn sich Paare aufrichtig bemühen, sich in Ruhe auszusprechen, verletzen sie sich dabei noch mehr und die Nähe und Intimität, die sie sich so sehr miteinander wünschen, rückt immer ferner.

Harville Hendrix und seine Frau Helen LaKelly Hunt haben deshalb den Imago Dialog entwickelt. Er gibt Paaren einen Rahmen, um sich auszusprechen, anzuerkennen und ineinander einzufühlen. Giftige Bemerkungen und Vorwürfe bleiben außen vor. Wenn wir diese nämlich hören, schaltet ein Teil unseres Hirnes auf Alarm. Es signalisiert uns, dass die Person, die vor uns steht, gefährlich ist. In diesem alarmierten Zustand ist es nahezu unmöglich ruhig zuzuhören und ruhig zu sprechen. Das Ergebnis von Streit sind einschneidende Verletzungen bei allen Familienmitgliedern, und wer kennt das nicht?

NEGATIVITÄT STÖRT NÄHE: BEI 37,67% VON EHEN FÜHRT DAS ZUR SCHEIDUNG

Wenn wir Ängste, Wunden, Vorurteile, Enttäuschungen, Vorwürfe, Frust und Verachtung unausgesprochen mit in unsere Beziehungen schleppen, ist es unmöglich Nähe zu erleben. 37,67% der Ehen halten diese Negativität nicht stand und lassen sich scheiden.

UND WARUM STREITEN WIR?

Warum streiten wir uns eigentlich? Weil wir anderer Meinung sind. Weil wir im Moment der Auseinandersetzung nur die eigene Weltsicht sehen. Ich bin richtig, du bist falsch. Es folgen Vorwürfe, verachtende Bemerkung, zuckersüßer Zynismus und andere herzzerreißende Delikatessen. Das sind alles Strategien, um offenen Wunden, Scham, Unsicherheit und Verletzlichkeit zu schützen.

WIR SEHNEN UNS NACH NÄHE UND VERBUNDENHEIT

In 13 Jahren habe ich weltweit mit bisher 2.300 Menschen als Coach gearbeitet. Dabei stellte ich fest, dass die einzige Art Begegnung, Nähe und Beziehung herzustellen und sie wirklich zu erleben, ist erst einmal zu entschleunigen. Innezuhalten und sich selber zu sagen: so, jetzt schaue ich mir diesen tiefsten Schmerz, diese tiefste Enttäuschung mal an. Ich heile sie Schritt für Schritt. Und in Beziehungen lerne ich zuzuhören. Ich bringe meinen innerlichen vorwurfsvollen Kommentator mal zum Schweigen und höre meinem Gegenüber neugierig zu.

Wenn ich selber eine Enttäuschung, ein Bedürfnis und einen Wunsch äußere, dann halte ich mich an Regeln (z. B. Imago Dialog). Denn wenn wir uns einfach so erlauben, uns mal richtig die Meinung zu sagen, verletzen wir uns nur noch mehr. Wir gehen noch mehr in Deckung, steigen noch tiefer in den eigenen, vermeintlich sicheren Schützengraben. Das hat physiologische Gründe: ein Teil unseres Hirns schlägt nämlich bei Auseinandersetzungen Alarm, flutet unseren Körper mit dem Stresshormon Cortisol und die Nähe ist dahin.